Loyalität und Scham – zwei wesentliche Faktoren, die Sie unbedingt beachten sollten, wenn Sie den kleinen betroffenen Kindern in Alkoholikerfamilien bzw. alkoholbelasteten Familien helfen und sie unterstützen wollen. Kinder lieben ihre Eltern. Und. Kinder wollen ihre Eltern lieben dürfen. Auch in oftmals sehr belasteten Familien. Beachten Sie zusätzlich, dass einem kleinen Kind vieles an Bewusstseinsbildung fehlt, welches sich erst später im Teenager- und Erwachsenenleben entwickelt und es sich daher im Kleinkindalter nach dem richten muss, was Eltern und soziales Umfeld vorleben.
So können Sie unterstützen:
Die stabile Bezugsperson
Eine sichere Beziehung zu erwachsenen Personen ist ein immens hilfreicher Faktor für ein betroffenes Kind. Im engsten sozialen Umfeld bestehen besonders gute Beziehungsmöglichkeiten: Sie sind Großmutter, Großvater, Tante, Onkel, Nachbar*in, Lehrer*in, Trainer*in usw.? Schenken Sie den Kindern Ihre Aufmerksamkeit, hören Sie zu, nehmen Sie das Kind ernst und vermitteln Sie ihm das ehrliche Gefühl, dass es bei Ihnen gut aufgehoben und vor allem: Dass es bei Ihnen sicher ist.
Holen Sie sich bei Unsicherheit Informationen von Expert*innen in Ihrer Nähe, wenden Sie sich an Hausärzt*innen, Psychotherapeut*innen, Psycholog*innen, Personen in sozialen Einrichtungen, die mit kleinen Kindern arbeiten etc. Fachlich geschultes Personal kann hilfreiche Tipps geben. Gerne können Sie sich auch an mich wenden (kinder@fingerzeig.at) – als ehemals Betroffene unterstütze ich Sie gerne, geeignete Kontaktstellen zu finden. Einige hilfreiche Stellen finden Sie unter > Die Empfehlungen
Die Kenntnis
Ein weiterer, sehr wichtiger Faktor ist das Wissen über die vorhandene Sucht innerhalb der Familie und über das Verständnis, dass es sich dabei um eine Erkrankung bei Vater/Mutter handelt. Damit können Sie verhindern, dass ein Kind die Schuld an vielen zu Hause stattfindenden verunsichernden und oftmals verstörenden Situationen bei sich selbst sucht, da es Erfahrungen besser einordnen kann und nicht mehr sich selbst als das Problem sieht.
Der Abstand
Bieten Sie dem Kind räumliche Möglichkeiten, in die es sich zurückziehen und besonders einen in sehr akut belastenden Situationen notwendigen Abstand gewinnen kann – wenn es das will. Erzwingen Sie dies keinesfalls, ausnehmend natürlich, das Kindeswohl ist gefährdet:
Polizei-Notruf: 133 oder 112
SMS Polizei: 0800 | 133 133 (auch Notruf für Gehörlose)
Frauen-Helpline 0800/222 555 – rund um die Uhr, anonym und kostenlos
Weitere Kontakte finden Sie unter > Die Empfehlungen
Das Verhalten
Ein betroffenes Kind ist innerhalb der eigenen Familie vielen schädigenden Verhaltensmustern ausgesetzt, die aufgrund der Suchterkrankung und/oder der Co-Abhängigkeit häufig unbewusst vorgelebt werden.
Mit dem Vorleben hilfreicher Muster können Sie Resilienzen fördern. Probieren Sie mit dem Kind neue, unterstützende Verhaltensmuster und auch -strategien aus. Dadurch können Sie dem Kind das oftmalige Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit nehmen und helfen, dass es mit vielen Situationen gesünder umgehen lernt. Ein Wertesystem, das außerhalb der erkrankten Familie entwickelt werden kann, kann wichtige Resilienzfaktoren – auch für das spätere Erwachsenenleben – bieten.
Das Fördern
Unsicherheiten, Ängste, Vernachlässigung und Missbrauch können zu extremen inneren Konflikten führen. Hobbies, Sportarten oder Ausdrucksmöglichkeiten in künstlerischer Form – all dies kann dem Kind helfen, belastende Situationen zu verarbeiten, sich als vollwertig, als talentiert, als akzeptiert und vor allem – als gesehen zu werden – zu fühlen. Besonders in der Möglichkeit des künstlerischen Ausdrucks, wie zum Beispiel durch Singen, Schreiben, Musizieren, Tanzen, Malen und vieles mehr, kann die indirekte Darstellung bzw. der indirekte Ausdruck eine besonders hilfreiche Strategie sein, da ein Kind dadurch das sogenannte „Gesetz der Alkoholikerfamilien“ nicht brechen muss: zu schweigen.
Brücken bauen
Manchmal können Sie auch durch „Umwege“ über Situationen innerhalb der Alkoholikerfamilien bzw. alkoholbelasteten Familien aufklären. Etwa mit Hilfe von Kinderbüchern, aus denen Sie vorlesen oder durch kindgerechte Vorträge in Kindergärten und Schulen etc. kann viel bewirkt werden. Denn auch durch eine allgemeine Aufklärung über die Situationen in Alkoholikerfamilien kann sich ein betroffenes Kind wiederfinden und findet vielleicht dadurch den Mut, sich zu öffnen. Durch solche Brücken vermeiden Sie, ein Kind bloßzustellen oder zu beschämen. Tipps für Bücher finden Sie hier: > Die Bücher
Das Lachen
In manchen belastenden Situationen kann Lachen ein hilfreicher Faktor sein, um einer besonderen Belastung an Schwere zu nehmen und vielleicht auch einfach ein Versuch sein, manch Tragisches in Komisches umzuwandeln.
Dies sollten Sie beachten:
Das Verurteilen
Vermeiden Sie, sucht- beziehungsweises co-abhängige Eltern eines Kindes zu verurteilen oder in schlechtes Licht rücken – ein betroffenes Kind wird sich dadurch noch mehr zurückzuziehen und verschließen, denn trotz oftmals extrem belastender Situationen sind betroffene Kinder ihren Eltern gegenüber extrem loyal und werden diese Außenstehenden gegenüber – vor allem in Bedrängnis – immer wieder eher in Schutz nehmen, als ihnen irgendwelche Schuld zuzuweisen.
Die Scham
Scham ist ein wesentliches Thema und wurde eingangs bereits erwähnt. Es kann schlimme Folgen haben, wenn zum Beispiel eine Lehrperson ein Kind vor versammelter Klasse auf die Alkoholabhängigkeit des Vaters/der Mutter anspricht. Oder wenn etwa Personen im betroffenen Familien-/Freundeskreis, die zu dem Kind kein enges Vertrauensverhältnis haben, es darauf hinweisen, dass es nun wirklich schon zu groß sei, um nachts ins Bett zu nässen. Mit solch gut gemeinten „Versuchen“ ist die Gefahr groß, dass das Kind erneut und/oder weiterhin die Schuld/das Problem bei sich selbst sucht und es wird sich noch mehr verschließen.
Das Einmischen
Es ist häufig unnötig, sich direkt in das Familiensystem Alkohol „einzumischen“. Es bedarf großes Vertrauen, dieses Tabuthema offen anzusprechen. In Bezug auf ein betroffenes Kind ist es sogar ein doppeltes Tabuthema, denn neben der Sucht selbst ist es in solchen Familien oberstes Gebot, dass nichts nach außen dringen darf. Seien Sie sich einfach dessen bewusst, dass Sie einem Kind manchmal schon damit helfen können, indem Sie einfach da sind, einen liebevollen, wohlwollenden und stabilen Umgang pflegen, das Kind ernst nehmen und ihm das ehrliche Gefühl vermitteln, dass es bei Ihnen gut aufgehoben und sicher ist. So wird es mit der Zeit immer mehr Vertrauen zu Ihnen aufbauen können.
Das Kind sein dürfen
Seien Sie ganz einfach da. „Sehen“ Sie das betroffene Kind, schenken Sie ihm Ihre Liebe, Ihre Zeit, Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Wohlwollen. In der suchtbelasteten Familie wird es von den eigenen Eltern häufig „übersehen“, da der abhängige Elternteil mit seiner Sucht und der co-abhängige Elternteil damit beschäftigt ist, das gesamte Familiensystem irgendwie am Laufen zu halten. Lassen Sie so ein Kind einfach Kind sein, lassen Sie es ausgelassen sein, lassen Sie es spielen, lassen Sie es herumtollen und geben Sie ihm dabei das Gefühl von Vertrauen, Sicherheit und Entspannung. Seien Sie eine beständige Bezugsperson sind, eine intensive und nur kurz andauernde Aufmerksamkeit kann bei abrupter Beendigung mehr Schaden anrichten als Hilfe sein.
Das direkte Ansprechen der Suchterkrankung
Um die Suchterkrankung ansprechen zu können, sollten Sie ein sehr enges Vertrauensverhältnis zum betroffenen Kind haben. Manchmal müssen Sie lange Zeit abwarten, bis es von sich aus auf Sie zukommt, denn es erfordert extrem viel Mut, etwas an- und auszusprechen. Kinder sind ihren Eltern gegenüber sehr loyal, egal, wie sehr sie selber leiden müssen. Ein erzwungenes Sprechen müssen könnte ein betroffenes Kind in einen tiefen Loyalitätskonflikt stürzen, da es noch dazu Familiengesetz ist, über Vorfälle innerhalb des Familiensystems nichts nach außen dringen zu lassen. Wenn Sie dieses wohlgehütete Familiengeheimnis der Alkoholsucht einfach ansprechen, kann es sein, dass das Kind aus Loyalität zu den Eltern leugnet oder auch den Kontakt von sich aus zu Ihnen abbricht.
Seien Sie bitte geduldig, seien Sie beständig, seien Sie vertrauensvoll. Seien Sie liebevoll. Wenn sich ein betroffenes Kind bei Ihnen sicher aufgehoben und verstanden fühlt, wird es sich Ihnen gegenüber schrittweise öffnen können.
Sie können dem Kind immer wieder folgende wichtige Informationen geben:
• ich bin für dich da
• ich kümmere mich um dich
• du darfst deine Kontrolle abgeben
• du brauchst keine Angst zu haben
• du brauchst dich für nichts schämen
• du darfst mir von deinen Ängsten und Sorgen erzählen
• du darfst jetzt Kind sein
• du darfst dein „Kind sein“ ausleben
• du bist nicht mehr allein
• du bist wundervoll, wie du bist und du darfst dich selber liebhaben
Wenn ein betroffenes Kind Ihnen gegenüber aus dem erkrankten Familiensystem erzählt, sollten Sie versuchen, dem Kind behutsam und immer wieder (denn nur so kann ein Kind dies auch verinnerlichen und beginnen, tatsächlich daran zu glauben) zu erklären:
• dass es selbst völlig in Ordnung ist
• dass es völlig unschuldig ist an der familiären Situation
• dass es durch sein Verhalten nichts besser oder schlechter machen kann
• dass es sich für nichts schämen muss
• dass es über seine Ängste und Sorgen reden darf und dass dies keinesfalls ein Verrat am alkoholbelasteten Elternteil ist
• dass ihr/sein Elternteil große Probleme mit Alkohol hat und dies eine Krankheit ist
• dass häufig extreme Stimmungsschwankungen der Eltern Teil der Krankheit sind
• dass diese Situation etwas ist, welches die Erwachsenen nur selber lösen können
• dass es seine einzige Aufgabe ist, Kind zu sein, sein Leben zu leben und nur für sich selber verantwortlich ist
Die Gefahr
Es kann auch zu Situationen kommen, in denen Gefahr in Verzug ist. Besonders wenn Gewalt, sexueller Missbrauch, Selbstmord oder Mord Thema werden (könnten). Oder aber, wenn zum Beispiel bereits bekannt ist, dass es sich um ein betroffenes kleines Kind handelt und es von sich aus mitteilt, dass es zum Beispiel nicht mehr nach Hause will. Hier ist absolut rasches Handeln gefordert. In solchen Fällen wenden Sie sich bitte unbedingt an geschulte Personen oder verständigen Sie die Polizei – bringen Sie sich bitte keinesfalls selbst in (Lebens)gefahr – so etwas würde für keinen hilfreich sein.
Polizei-Notruf: 133 oder 112
SMS Polizei: 0800 | 133 133 (auch Notruf für Gehörlose)
Frauen-Helpline 0800/222 555 – rund um die Uhr, anonym und kostenlos
Es gibt bei den kleinen betroffenen Kindern nur eines, was Sie wirklich falsch machen können: wegzusehen.
Bitte. Helfen. Sie. Mit. Es geht uns alle etwas an. Sie können viel Gutes für die kleinen betroffenen Kinder bewirken.
Foto: © Bess Hamiti/pixabay