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Diese Rubrik bietet betroffenen Kindern in und aus alkoholbelasteten Familien Platz, sich selbst zu diesem Thema zu äußern, über ihre Erfahrungen zu erzählen und über die „Spuren“, die das Leben in so einem Familiensystem hinterlassen hat. Hier können sie ihr Schweigen brechen, hier dürfen sie sprechen und helfen so vielleicht sich selbst, anderen betroffenen Kindern und informieren Interessierte über Erfahrungen, die ein ganzes Leben prägen können.


Wenn auch Sie über Ihre Erfahrungen erzählen möchten, schreiben Sie bitte an: kinder@fingerzeig.at
Ihre Zeilen werden mit Ihrer Zustimmung auf dieser Seite anonym veröffentlicht und keinesfalls an Dritte weitergegeben.

Monika (geb. 1964), Tochter eines Alkoholikers
Ich konnte nicht so wirklich an „Den lieben Gott“ glauben, weil er so schrecklich viel in meinem Leben zuließ. Aber ich dachte dann „Es kann ja nicht schaden zu beten“ – damals, während meiner Kindheit, gab es keinerlei Hilfen für uns Kinder. Hier meine Gedanken als Kind.
„Lieber Gott, lass Papa nicht mehr trinken……
und lieber Gott mach, dass Mama nicht immer meint, sie muss wegen mir bei Papa bleiben. Mach, dass sie versteht, dass ich zwar beide lieb habe und Papa auch unendlich vermissen würde, ABER, ich nicht immer so leiden müsste wie jetzt. Lieber Gott mach auch, dass sie einsieht, dass ich wirklich alles mitkriege, auch wenn ich so tue, als sei alles in Ordnung, denn ich kann es ihr ja nicht sagen und es würde sie traurig machen… aber, wenn sie es einsieht, dann wird sie hoffentlich endlich etwas ändern.
Lieber Gott mach, dass sie verstehen, dass ICH als Kind nichts an unserer Situation ändern kann, auch wenn ich mich immer total bemühe…. aber Mama (und auch Papa) können und sollten etwas ändern. Ich bin ihnen doch ausgeliefert und möchte nicht mehr so oft und so viel alleine und heimlich weinen …“

Katja
Auch ich finde es erschreckend, dass scheinbar 2 Drittel (wenn nicht sogar mehr) aus meiner Kindheit einfach ausgelöscht sind … manchmal macht es mir Angst, was mein Gehirn damit verdrängen will … aber die Natur hat es so eingerichtet … was ich aber nicht vergesse, ist meine betrunkene Mutti … und auch ihre Partner dazu … die Streits … die vielen Flaschen … das um Hilfe betteln im betrunkenen Zustand … und und und … ich denke, ich habe mein Leben trotz allem gut gemeistert, ich hatte gute Freunde, deren Familien mich auch gut aufgenommen hatten … ich habe heute all das, was ich mir immer wünschte … Eine Familie … nur der Umgang mit Alkohol, da seh ich schnell rot, bin da schnell ungenießbar, wenn mein Mann mal was trinkt … da kommen Ängste auf, die man nicht in Worte fassen kann … ich kann mich nicht streiten, bin da äußerst sensibel … überhaupt bin ich sehr sensibel, habe Angst davor abgelehnt zu werden …

Tabea, 41
Mein Vater hatte wieder einmal getrunken, wie fast immer und war aggressiv, wie auch fast immer, wenn kein Außenstehender dabei war. Dieses Mal hatte er mit dem Alkohol noch gleich Tabletten eingenommen. Irgendwann war es auf jeden Fall so, dass er im Zimmer stand und plötzlich einfach umgefallen ist. Richtig hingeknallt auf den Fliesenboden. Tja, da lag er, mitten im Raum und hat einfach geschlafen – zumindest glaube ich, dass er geschlafen hat – ich war ja erst ein paar Jahre alt, ich konnte das ja gar nicht richtig einschätzen, vielleicht war er auch bewusstlos. Und wir ließen ihn da einfach liegen. Wir sind einfach alle über ihn drübergestiegen, weil er so mitten im Raum lag, weil er einfach im Weg war. Ich hatte die ganze Zeit so eine Angst, dass er wieder aufwacht. Ich glaube, im Grunde haben wir alle einfach darauf gewartet, dass er gar nicht mehr aufwacht. Aber natürlich ist er ist wieder aufgewacht und hat dann einfach weitergesoffen, obwohl er seine Bierflasche vor lauter Zittern kaum halten konnte.

Erik, 28
Was mich bis heute verfolgt, ist diese Vergesslichkeit. Ich glaube, das habe ich schon immer. Ich habe manchmal das Gefühl, dass es in meiner frühen Kindheit solche extremen Situationen gegeben hat, dass mein Gehirn in erster Linie auf Vergessen ausgeformt wurde, weil es vielleicht sonst gar nicht auszuhalten gewesen wäre. Dass sich meine Gehirnwindungen als Schutzmechanismus so entwickelt haben, damit Vieles von dem, was bei mit zu Hause passiert ist, einfach gar nicht abgespeichert wurde. Und diese „Autobahnen“, die heute meine Erinnerungen eigentlich speichern sollten, sind jetzt einfach nicht da. Das ist oft wahnsinnig anstrengend, weil ich ja heute auch so sehr vergesslich bin und ich das einfach nicht steuern kann. Das Schlimmste ist , dass man mich dadurch auch so leicht belügen kann – ich kann mich ja häufig nicht erinnern, ob etwas gewesen ist oder nicht oder ob ich etwas gesagt habe oder nicht. Das macht mich oft fast wahnsinnig.

Elisabeth, 56
Angst – das beschreibt das Dauergefühl meiner Kindheit. Elisabeth Angst. Angst. Angst. Das trifft es genau. Ich habe in ständiger Angst gelebt – und ich durfte es nicht zeigen. Immer schön die Klappe halten, ruhig verhalten, Angst haben. Wenn mein Vater von der Arbeit nach Hause kam: Angst. Wenn er von seinen Sauftouren heimkehrte: Angst. Wenn ihm irgendetwas nicht passte und sowas konnte von einer Minute auf die andere passieren: Angst. Wenn ich nachts im Bett lag, er meine Mutter angeschrien und sie geschlagen hat: Angst. Wenn er tagsüber meine Mutter angeschrien und sie geschlagen hat: Angst. Wenn ich mich verletzt hatte: Angst, dass ich dafür auch noch beschimpft und geschlagen werde, weil ich so tolpatschig war. Wenn er mit meinen Geschwistern geschrien und sie geschlagen hat: Angst. Wenn er einfach so rumgeschrien hat: Angst. Wenn er wieder einmal sein Testament geschrieben hat und seinen Selbstmord ankündigte: Angst. Angst. Angst. Angst. Angst. Angst. Angst. Diese Dinge sind natürlich nur dann passiert, wenn es keiner außerhalb der Familie mitbekommen konnte. Und falls dies doch einmal der Fall war (ich glaube, mit den Jahren wurde ihm das auch immer mehr egal; er konnte ja tun und lassen, was er wollte, es gab ja keine Konsequenzen) dann hat niemand etwas unternommen, um uns zu helfen. Und ja, das hat Wunden und Narben hinterlassen. Die krieg ich nicht mehr weg. Die tun manchmal heute so weh, als wäre ich wieder das kleine Kind von damals. Auch wenn ich heute erwachsen und so alt bin, die Zeit heilt nicht alles. Ich war ein Kind – so etwas hätte nicht passieren dürfen. Verzeihen kann ich ihm nicht – werde ich auch nicht – und als er gestorben ist war ich einfach nur froh, dass er endlich weg war.

Mein Vater ist alkoholkrank. Inzwischen kann ich damit umgehen
Erfahrungsbericht eines betroffenen erwachsenen Kindes eines alkoholkranken Vaters.
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Foto: © verahelen/pixabay